Frankfurter Wachensturm – Biedermeier

Anfangs auch als „Biedermaier“ buchstabiert, beschreibt dieser Begriff das bürgerliche Leben in den Jahren vom Ende des Wiener Kongresses bis zur Revolution von 1848.

Der revolutionäre Dichter Ludwig Pfau 1847 hat ein Gedicht mit dem Titel „Herr Biedermeier“ verfasst, das Spießigkeit und Doppelmoral anprangert. Es beschreibt aus meiner Sicht trefflich den bürgerlichen Geist jener Jahre:

Schau, dort spaziert Herr Biedermeier,
Und seine Frau, den Sohn am Arm;
Sein Tritt ist sachte wie auf Eier,
Sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.
Das ist ein Bürger hochgeachtet,
Der geistlich spricht und weltlich trachtet;
Er wohnt in jenem schönen Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Regierlich stimmt er bei den Wahlen,
Denn er mißbilligt allen Streit;
Obwohl kein Freund vom Steuerzahlen,
Verehrt er sehr die Obrigkeit.
Aufs Rathaus und vor Amt gerufen,
Zieht er den Hut schon auf den Stufen;
Dann aber geht er stolz nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Am Sonntag in der Kirche fehlen,
Das wäre gegen Christenpflicht;
Da holt er Labung seiner Seelen –
Und schlummert, wenn der Pfarrer spricht.
Das führt ihn lieblich bis zum Segen,
Den nimmt der Wackre fromm entgegen.
Dann geht er ganz erbaut nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Ach! Wandrer, die gen Westen streben!
Wie rühret ihre Not sein Herz!
Wohl sieht er sammeln, doch zu geben,
Vergißt er ganz in seinem Schmerz.
»Ihr Schicksal ruht in Gottes Händen!«
Spricht er – dann geht er auszupfänden,
Nimmt einem Schuldner Hof und Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Den einz’gen, hoffnungsvollen Sprossen –
Denn mehr, das wäre Überfluß –
Den hält er klösterlich verschlossen:
Die Sünde stammt ja vom Genuß.
Die Mutter führt ihr Küchlein sittig
Wie eine Henne unterm Fittig;
Sie sorgt für strenge Zucht im Haus
Und – leiht ihr Geld auf Wucher aus.

O edles Haus! o feine Sitten!
Wo jedes Gift im Keim erstickt,
Wo nur gepflegt wird und gelitten,
Was gern sich duckt und wohl sich schickt.
O fromme Bildung! Glaubensblüte,
Daß der Besitz dich heg‘ und hüte! –
Respekt muß sein in Staat und Haus:
Sonst – geht dem Geld der Wucher aus.

Carl Spitzweg: der Sonntagsspaziergang

Die heute noch von vielen so gelobten „deutsche Tugenden“, wie Fleiß, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Bescheidenheit, Pflichtgefühl und Treue wurden gepflegt. Auch der Begriff der Gemütlichkeit entstand in dieser Zeit. Man traf sich in kleinen Kreisen, pflegte Hausmusik und übte „small talk“.

Auch das Weihnachtsfest, mit Baum und Bescherung, hatte bezgl. des groben Ablaufs hier seinen Ursprung.

Der Mann herrschte patriachalisch über der Familie, die Frau war für den Haushalt zuständig.

Der deutsche Michel (dessen Eigenschaften sich mit der Zeit allerdings wandelte, wie mein Video auf YT zeigt) wurde auch zum Sinnbild. mit Pfeife und Zipfelmütze, war zu jenem Zeitpunkt schon länger Kennzeichen für Spießbürger mit „beschränktem Verstand und furchtsamer Natur.“

Das gesamte 19. Jahrhundert war geprägt von grundlegenden Änderungen, die letztendlich die Kultur vorbereiteten, in der wir heute leben.

Diese Änderungen geschahen nicht blitzartig, sondern entwickelten sich über die Jahre.

Ich möchte hier nur einige dieser spannenden Themen beschreiben:

Das Wohnen

Hand in Hand mit diesen bürgerlichen Gepflogenheiten, entwickelte sich der Bereich des Wohnens weiter. „Das deutsche Wohnzimmer“ mit Couch, Sekretär, Sesseln usw. haben in dieser Zeit ihren Ursprung, auch die Trennung von Arbeit und Wohnen, gegenüber der davor herrschenden eher ländlich geprägten Kultur. Hier ein Bild, die diesen eher praktischen Stil ohne viel Pomp verdeutlicht.

Es entstand auch das Zimmer für den Sonntag (bei meiner Großtante auch als „kalte Pracht“ bezeichnet) mit Vitrinen, in denen manchmal kostbare Gegenstände standen, die nie benutzt wurden.

In den Städten kam es auch zunehmend zu Mietverhältnissen. In Berlin wohnte schon 1800 1/3 der Bevölkerung zur Miete.

In den unteren Schichten entwickelten sich allerdings erst später eine andere Kultur der „Mietkasernen“ oder in Berlin die Hinterhöfe.

Reisen

Durch die zügige Entwicklung der Eisenbahn ergaben sich ebenfalls grundlegende Veränderungen.

Gleise zerteilten Städte und schufen völlig neue Viertel. Die Reisetätigkeit nahm stetig zu. Wer es sich leisten konnte, besuchte andere Städte, Bäder (1842 erschien der erste „Baedeker“), Seebäder und Gebirgsvereine entstanden.